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Im Spannungsfeld menschlicher Bedürfnisse 

Das Herzstück

Wachstum für Individuum und Kollektiv

«Man gewinnt immer, wenn man erfährt, was andere von uns denken.»

Johann Wolfgang von Goethe

Erziehung, Prägungen und Erfahrungen

Erinnerst du dich an Situationen aus deiner Kindheit, in denen dir natürliche Emotionen abgesprochen wurden? In meiner Kindheit zum Beispiel wurde ich sehr oft kritisiert, wenn ich wütend war und dieser Wut Ausdruck verlieh. Ich hörte dann, dass sich Wut sich für Mädchen nicht gehörte. Ähnlich wurden meine Brüder für Tränen oder Angst kritisiert, da beides als «unmännlich» galt (und vielleicht bis heute gilt – besonders für die älteren Kaliber unter uns ;-).

 

Diese Formen der Kritik empfinden wir alle in der Regel als Ablehnung. Dabei basiert diese Kritik auf den Überzeugungen und Erfahrungen unserer Eltern, denn sie selbst wurden genauso konditioniert. Mit dem Resultat, dass wir in unserem natürlichen Ausdruck von Gefühlen beschnitten werden – obwohl das freie Ausleben von Gefühlen und Emotionen eine wichtige, gesundheitliche regulierende Funktion hat.

 

Durch solche Erfahrungen lernte ich (und viele andere Menschen auch), dass ich mit meinen Gefühlen nicht akzeptabel sei und dass ich meine Grenzen nicht auf natürliche Weise setzen durfte. Diese elterlichen Zurechtweisungen internalisieren wir über die Jahre und schränken uns selbst in vielen Lebensbereichen mehr und mehr ein. Kein Wunder tun sich so viele Menschen (ich inklusive) oft so schwer, Nein zu sagen und damit klare Grenzen zu setzen.

Die Ursprünge dieser Verhaltens- und Erziehungsweisen sind tief in uns Menschen angelegt. In den folgenden Abschnitten erfährst du mehr über die zahlreichen Einflüsse und Auswirkungen rund um dieses Thema. 

Evolution und Überlebensstrategien

Biologische Evolution der Menschheitsgeschichte

Bereits in frühster Menschheitsgeschichte bot das Zusammenleben in einer Gruppe (Sippe) dem Individuum Schutz und das Gefühl von Zugehörigkeit drückte Sicherheit aus. Organisiert als Sippe war es einfacher, Nahrung zu finden, den Nachwuchs gross zu ziehen, auf Wetterumstürze zu reagieren oder sich vor wilden Tieren zu schützen. Denn jedes Individuum brachte unterschiedliche Fertigkeiten mit, von dem das Kollektiv profitierte. Auch Regeln und soziale Normen waren notwendig, um das Überleben der Gruppe zu gewährleisten. Individuen, die gegen Regeln verstiessen, wurden durch eine einfache Art und Weise «bestraft». Sie wurden vor versammelter Gruppe zur Rechenschaft gezogen und mit kollektiver Ablehnung bestraft. Dies war der Warnhinweis, dass bei erneuter Zuwiderhandlung der Verstoss aus der Gruppe drohte. 

Eine Frage der Strategie

Nun konnte das Individuum entscheiden. Passte es sich an, ordnete sich den gemeinschaftlichen Regeln unter und genoss damit weiterhin den Schutz der Gruppe? Oder bestand es auf Autonomie und verliess die Gruppe, z.B. mit der Absicht, eine eigene Sippe zu gründen? Mit dem Risiko, beim Neuanfang vom Blitz getroffen zu werden, einem Bären in die Quere zu kommen oder zu verhungern. Beide Varianten waren möglich und beide beinhalteten sowohl Chancen als auch Risiken. Die Chance darauf, eine eigene Sippe zu gründen und die genetische Vielfalt zu erweitern – oder das Risiko einzugehen, beim diesem Unterfangen das Leben zu lassen.

Überlebensinstinkte – früher und heute

Ablehnung triggerte in jedem Fall unseren Überlebensinstinkt. Und es sind diese Überlebensinstinkte, die bis heute dazu führen, dass wir in besonders hektischen Situationen die Contenance verlieren können. Der einzige Unterschied zu damals sind die Gefahren als solches. Früher nahmen wir Reissaus vor dem Säbelzahntiger. Heute löst der wütende Chef, der mit hochrotem Kopf auf unser Büro zustürmt, Stress aus, Oder das wütende Kind, das sich beim Einkaufen in einem Tobsuchtsanfall auf den Boden wirft.

Das menschliche Gehirn

Stress und das menschliche Gehirn

Was passiert denn nun eigentlich mit uns, wenn sich das tobende Kind mit einem Schreikrampf auf den Boden wirft? Wir fühlen uns überfordert, weil unsere Gesellschaft laute, quengelnde oder schreiende Kinder nicht sonderlich mag. Wir treten also in erster Linie in Aktion, weil uns die Auswirkungen dieses Anfalls stressen. Die Blicke der anderen Menschen, das vorwurfsvolle Kopfschütteln, das Köpfe-zusammen-stecken, das Flüstern, die genervten Kommentare, das hämische Grinsen… Wir fühlen uns kritisiert und abgelehnt. Die Reaktionen der Anderen lösen in uns also exakt den selben Stress aus, wie damals das Rechenschaft ablegen vor versammelter Sippe.

Automatische Wahl im Gehirn – innerhalb eines Sekundenbruchteils

Jetzt heisst es handeln und schnell «raus» aus dieser Situation. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wählt unser Gehirn eine von drei Varianten: Fight (Kampf), Flight (Flucht) oder Freeze (Erstarrung). Schreien wir das Kind an (Fight), packen wir es und verlassen den Laden fluchtartig (Flight) oder lassen wir das Kind liegen und erstarren daneben (Freeze)? Alle drei Mechanismen entsprechen Ur-Instinkten und sind im Stammhin (Reptilienhirn) beheimatet und alle drei laufen automatisch ab. Zeit zum Nachdenken bleibt uns in einer stressigen Situation nicht – in einer echten Überlebenssituation ist das auch übermässig praktisch. Doch unser Gehirn macht – trotz all unserer technologischen Hilfsmittel – keinen Unterschied zwischen «echter» Bedrohung oder nicht. Du wirst nicht sterben wegen deinem tobenden Kind, auch wenn die Blicke der anderen dich zu durchbohren scheinen, aber es fühlt sich verdammt unangenehm an.

Evolution des Gehirns

Unser Gehirn hat sich in den vergangenen Jahrtausenden weiterentwickelt. Zum Stammhirn, mit den dort beheimateten Ur-Instinkten (Überlebensinstinkten), kamen das limbische System und später der präfrontale Kortex hinzu. Das limbische System spielt u.a. eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen. Im Falle des tobenden Kindes haben unseren Emotionen einen grossen Einfluss auf die Wahl der Ur-Instinkte». Je nachdem ob wir Wut, Scham, Schuldgefühl, Verzweiflung, Angst o.ä. verspüren – diese Emotionen entscheiden mit, ob wir kämpfen, fliehen oder erstarren. Die jüngste Gehirnregion, der präfrontale Kortex, zeichnet uns als Menschen aus. Es ist der Bereich, der mit der Planung von komplexen Verhaltensweisen und dem Ausdruck unserer Persönlichkeit verbunden ist. In dieser Region laufen komplexe mentale und kognitive Prozesse ab, also Denken, Wissen, Erinnern und Wahrnehmen. In Bezug auf das schreiende Kind würde das bedeuten, dass wir durch Wahrnehmung (oh… ich erlebe gerade Stress), Erinnern (oh… das hat mir bereits gut in einer ähnlichen Situation geholfen) und Denken (ja… so werde ich jetzt handeln) angemessen aus der Situation herausfinden.

Stress

Spannung und Entspannung

Stress ist ein natürlicher Vorgang, der durch eine Aneinanderreihung von Situationen entsteht und der uns in unmittelbaren Gefahren das Überleben sicherte. So gesehen ist Stress nichts Schlechtes, sondern vielmehr eine geniale Einrichtung. Tritt er kurzfristig auf, entsteht Spannung, die uns innert Sekunden handlungsfähig machen kann. Bleibt er langanhaltend in unserem System und fehlt die Entspannung, können die Folgen physische und psychische Erkrankungen sein. 

Stress – früher und heute

Früher, scheint mir, waren die Gefahren offensichtlicher. Wir wussten, dass eine Begegnung mit dem Säbelzahntiger tödlich enden konnte. Die Gefahr wegen eines Tobsuchtsanfall des Kindes zu sterben ist gleich null. Auch das wissen wir. Physiologisch gesehen lösen jedoch beide Situationen die gleichen Stressoren (Reize) aus. In vielen Fällen scheint uns das einfach nicht so klar zu sein, ist unsere Wahrnehmung von uns und unserem Körper meist etwas eingeschränkt. Als Kinder nehmen wir uns und unseren Körper noch viel deutlicher wahr, als das viele Erwachsene tun. Als Kinder reagieren wir auf Stress, respektiv dessen Abbau, viel natürlicher.

Die körperlichen Prozesse bei Stress

In Gefahrensituationen sendet unser Gehirn verschiedene Signale an den Körper, die uns auf Kampf oder Flucht vorbereiten. Die Nebennierenrinde zum Beispiel beginnt mit der Produktion von Stresshormonen (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol). Diese wiederum mobilisieren unsere physischen Kräfte. Unter anderem spannen sich unsere Muskeln an, die Pupillen verengen sich, der Blutdruck erhöht sich, der Herzschlag verändert sich. Ist die Gefahr vorüber, entspannt sich unser System, die Hormone werden vom Körper abgebaut und Regeneration setzt ein.

Langanhaltender Stress

In unserer heutigen Zeit sind wir tendenziell viel Stress ausgesetzt und Entspannung fällt vielerorts schwer. Muskelverspannungen sind genau so weit verbreitet, wie erhöhter Blutdruck. Langanhaltender Stress hat auch einen massgeblichen Einfluss auf unser Immunsystem. Finden wir so gar nicht mehr aus der gefühlten «Gefahrensituation»heraus, produziert die Nebennierenrinde fortwährend Stresshormone, die der Körper irgendwann nicht mehr abbauen kann. Dies führt zu einem schwachen Immunsystem und öffnet diversen Krankheiten Tür und Tor.

Individuum und Kollektiv

Tief verwurzelte, menschliche Verhaltensmerkmale

Es spielt heutzutage gar keine Rolle, ob wir technologische Fortschritte gemacht haben oder nicht. Unsere Verhaltensweisen sind noch genauso wie damals, als wir in Sippen zusammenlebten und umherzogen.In unserer westlichen Welt haben wir heute nicht mehr so starke Familienbanden wie damals, aber unser Bedürfnis nach sozialen Interaktionen ist heute noch genau so da. Das liegt daran, dass sich unser Gehirn zwar weiterentwickelt hat in seiner Grundfunktion aber immer noch primitiv funktioniert. 

Schon als Kind habe ich die erste Strategie gewählt und passte mich an. Und das geht nicht nur mir so. 

Die Balance zwischen Selbstentdeckung und Gruppenzugehörigkeit kann zu Konflikten führen. Die Erziehung prägt, wie wir uns selbst wahrnehmen und in der Welt agieren.

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